Zweifel

Sitze da, auf meinem Spinningrad, angezogen, vorbereitet fürs Training, erholt vom gestrigen Tag, die Kopfhörer bereits in den Ohren, radle locker los. Draussen prasselt leise der Regen auf die Strasse, es ist immernoch dunkel. Perfekte Bedingungen für ein super Training.

Ich bin bereit.

Tatsächlich?

Im Kopf auch? Nicht ganz...

 

Und da kommt es dieses grauenhafte Gefühl.

Erdrückend und aufreibend zugleich. Schnürt mir die Kehle zu, legt mir einen Stein auf die Brust, etwas in mir sträubt sich. Gedanken schiessen mir durch den Kopf. Wirr und hektisch, ängstlich und unsicher:

 

"Will nicht.

Warum nicht?

Ich will.

Kann nicht?

Ich kann.

Warum nicht?

Sollte nicht...

Tatsächlich?

Nein.

Will ich?

Nein?

Nein.

Doch!

Nein...

Okay..."

 

Und so steige ich wieder ab, vom Rad. Aufgekratzt und wütend zugleich. Fühle mich mikrig, elend und beschämt. Bin verunsichert, ratlos darüber, weshalb das passiert.

Was ist los? Was ist es, dass mich lähmt, dass mir den Boden unter den Füssen wegzieht, mich aushölt und dann da stehen lässt, allein und ohne Anhaltspunkt.

Ich weiss, ich liebe es. Und doch, kann ich es nicht. Macht das Sinn?

Irgendwie nicht.

Krieche ins Bett, scrolle durch Instagram und Facebook, will mich ablenken durch Social Media. Das bringt überhaupt nichts. Vertrödle bloss Zeit. Lege das Smartphone wieder weg. Starre auf meinen Bettbezug.

 

Faul, schwach, und leer. So fühle ich mich.

 

Das niederzuschreiben schmerzt. Beinahe so sehr, wie es schmerzt in diesem Moment, wenn ich daliege, allein in meinem Bett. Eine Versagerin. Das Bin ich.

Es macht mich wütend. Meine Gefühle überfordern mich dermassen, dass mir keine Aktivität machbar erscheint. Überall wo ich bin, völlig gleichgültig was ich mache, sie sind da. Gedanken hallen in meinem Hinterkopf, immerzu. Einerseits, getrieben andererseits paralysiert, von dem Cocktail, der in mir brodelt.

Und trotzdem, stehe auf, ziehe mich um, schnüre meine Laufschuhe, gehe aus dem Haus, setze einen Fuss nach dem anderen, konzentriere mich darauf, wie meine Füsse auftreten, sich von der Strasse abstossen. Wird es lauter da oben, renne ich schneller, als könnte ich diesen abscheulichen Emotionen davon laufen.

Aber wovor fürchte ich mich? Es sind bloss Gedanken, Gefühle, sonst nichts. Sie haben weder Kontrolle über mich, noch sind sie in Stein gemeisselt. Sie können genauso schnell wieder verschwinden, wie sie auch auftauchen. Stimmt doch, oder?

Dann versuche ich sie zuzulassen, sie so intensiv wie möglich zu spüren.

 

Kommt, überrollt mich, zeigt was ihr drauf habt. Ich kann euch standhalten, ich kann euch ertragen.

 

Ich weiss, dieser Lauf wird mir nicht reichen. Spüre meine Energie, wie leicht es mir fällt. Ein gutes Gefühl. Und trotzdem macht es mich wütend, wütend auf mich selbst.

Werde immernoch frustriert sein nach diesem Lauf, immernoch enttäuscht von mir selber. Da ich weiss, heute wär ein guter Tag um richtig reinzuhauen, ein super Training rauszuhämmern, mich gut zu fühlen, lebendig und starkt.

Es ist zu wenig. Helfen tut es trotzdem, gibt mir etwas Raum, weckt meine Körper auf, beruhigt das Durcheinander in meinem Kopf etwas.

Komme zu Hause an und weiss; so lass ich das nicht stehen.

Heute ist kein Tag für einen scheiss Tag. Heute ist ein Tag für einen super Tag.

 

Also esse ich, ziehe mich um, packe meine Sachen und schwing mich auf's Rad. Fahre los, Richtung Albis, erstmal raus aus der Stadt, meine Lieblingsroute im Kopf, weiss genau wo durch.

Mein Herz fängt bereits beim Gedanken daran, wohin es mich heute noch führen wird, aufgeregt an zu klopfen. Kindliche Vorfreude überkommt mich und ich stelle mir vor, wie ich den Berg hochradle, mit dem Blick über Zürich, gekleidet in goldenstrahlenden Herbsttönen, dem blauen Himmel über mir und der Sonne im Gesicht. 

Ich radle, und radle, immer weiter, komme zur ersten Steigung. Beginne zu schnaufen, spüre, wie es langsam anstrengend wird. Kurz kommen Zweifel. Soll ich wirklich so weit fahren? Macht das Sinn? Aber dann spür ich, wie viel Energie noch in mir steckt, wie die Aufregung kommt, wie die Berge mich gerade zu rufen. 

Also radle ich, weiter und weiter, bis ich oben am Albis ankomme, verschwitzt und glücklich, will mehr. Geniesse kurz die Aussicht, die Abfahrt und rase noch von der anderen Seite hoch um dann weiter zu gehen, Richtung Sihlbrugg, um den Gottschalken hochzustrampeln. 

Habe meinen Rythmus gefunden, geniesse die Landschaft, singe lauthals vor mich her, wie eine bescheuerte.

 

"But Iiiii don't feel like dancin' when the old Joanna plays
My heart could take a chance but my two feet can't find a way nananananan don't feel like dancin dancin uuhhuhu " 

 

Alle alten Hits die mir gerade so durch den Kopf schwirren.

Manchmal schreie ich auch (falls niemand zuhört). Einfach so. Um alles raus zu lassen.

Hin und wieder wenn es etwas härter wird, kommen Zweifel auf, verlässt mich meine Motivation für einen Moment. Das verfliegt aber meist wieder rasch.

Dann sag ich mir: "deshalb bin ich hier. Das ist es, was ich will. Soll es so einfach sein? Nein. Ich will die Herausforderung. Es ist geil, und es ist wunderschön."

Dann schau ich mich um, überwältigt von all der Schönheit, all den Farben, den Bäumen mit den rotbraunen Blättern, der endlosen Landschaft mit all den saftig grünen Wiesen.

Schweiz, du bist so zauberhaft.

Und dann bin ich dankbar, dankbar dafür, hier sein zu können, gesund zu sein, die Möglichkeit zu genießen, dies alles zu erleben.

 

Die Zeit vergeht wie im Flug, und ehe ich mich versehe, bin ich in Pfäffikon, den Albis, Gottschalken und Etzel in den Beinen. Etwas über 30 Kilometer hab ich noch vor mir, alles dem See entlag bis nach Zürich. Langsam macht sich die Müdigkeit etwas bemerkbar, schiebt mir nochmals rasch ein kleines Tief rein. Ich spüre wie etwas in mir streiken möchte, lieber den Zug nehmen will. 

Die fiese, demoralisierende Stimme in deinem Hinterkopf, die beginnt, leise zu flüstern.

Darauf eingehen will ich nicht. Atme tief durch, konzentriere mich auf meine Beine, die Trittbewegung, wie sich meine Muskeln anspannen und wieder kurz etwas lösen, immer und immer wieder.

Und plötzlich, als wäre es zum Trotz, überkommt mich nochmals eine sprudelnde Freude, ein Enthusiasmus der mich nochmals pusht, mir erneut Energie schenkt, um ein letztes Mal so richtig Gas zu geben.

Beinahe den ganzen Weg bis nach Zürich steige ich immer wieder aus dem Sattel, lege einen Sprint nach dem anderem ein und brülle dabei abermals lauthals die grauenhaftesten Ohrwürmer aller Zeiten raus.

Frei und lebendig. So fühle ich mich. Und so wird ein scheiss Tag tatsächlich noch zu einem grandiosen Tag. So richtig mega super cool.

 

Amen.

 

 

 

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