Projekt Me

5:25 Uhr morgens. Der Wecker klingelt, reißt mich aus meinem wirren, halbwachen Delirium. 

Sanft ist anders.
Ironischerweise, träumte ich gerade einem Freund von mir, aufgeregt und stolz zu berichten, wie glücklich ich sei, mein kleines Projekt gemeistert zu haben. 
Verwirrt muss ich jedoch feststellen, dass genau jenes nun auf mich wartet. Heute. Jetzt. 
Ich setze mich auf, beginne meine Atemübungen. ( besser als jeder Kaffee, garantiert! Wer‘s interessiert kann hier mal vorbei schauen: https://www.wimhofmethod.com/ )
Danach bin ich wach, bestimmt. Bloß nicht von der Müdigkeit zurück in die Kissen zerren lassen. 
Also los. 
.... ( schnauf, schnauf... schnauf, schnauf...)
Okay. Jetzt fühl ich mich besser.
Huiii. Beinahe als wär ich auf Speed.
Naja, beinahe. Aber reicht.
So mach ich mich, trotz Sauerstoffboost noch etwas zaghaft, auf den Weg Richtung Küche.
Wie fühl ich mich? Sind meine Beine frisch, ist mein Körper bereit? Schüchtern horche ich in mich hinein. Beinahe so, als fürchtete ich mich klein wenig vor dem Feedback.
Nichts? Alles gut?
In Ordnung.
Ich weiss, ich bin bereit. Ich weiss, ich kann.
Etwas befangen beginne ich Freude zuzulassen, traue mich, etwas übermütig zu werden.
Ja, die Angst ist da, enttäuscht zu werden, die Zweifel, an mir selbst, meiner Stärke, meinem Willen, meinem Mut.
Aber es fühlt sich gut an. Es fühlt sich tatsächlich richtig grandios an.
Ich freue mich.
Und das darf ich auch, das kann ich auch.

Beinahe Gewohnheit, beinahe Norm, dass Emotionen wie Vorfreude, Spass und Lust auf Abenteuer, Verlangen nach Herausforderung, wegzuknicken drohen, unter dem Druck der auf ihnen lastet. 

Dieser Gelassenheit traue ich nicht, dieser Zuversicht.

Misstrauisch jedoch gleichzeitig auch entschieden, Fahre ich, mit vollgepacktem Rucksack, zum Hallenbad City, dass nur wenige Minuten von mir entfernt liegt.

Die Stadt ist noch immer in Dunkelheit gehüllt, die Strassen noch nass vom Regen in der Nacht.

Kaum betrete ich das Bad, wendet sich die Stimmung jedoch abrupt. Ein reges Kommen und Gehen, Sportvereine, Geschäftsleute, alle wollen ihr Training noch vor der Arbeit erledigen, hetzen gestresst von Pool zu Umkleide, Dusche und umgekehrt.

Ich ergattere mir ein ruhigeres Plätzchen, mit genügend freier Fläche um meine Ausrüstung zu deponieren.

Zweifel und Angst lassen sich noch immer nicht blicken, auch nicht nachdem ich endlich alles gründlich und sorgfälltig bereit gelegt, wie auch kontrolliert habe.

Aufgeregt bin ich natürlich. Sogar ziemlich. Aber auf eine gute Weise.

 

Nun ist es also so weit.

Stehe da am Beckenrand, setze mir meine Schwimmbrille auf. Die Bahnen sind voll, der Platz knapp, die Stimmung aber erstaunlich entspannt. Das beruhigt mich.

Noch einmal Atme ich tief durch, werfe ein Blick auf die Uhr, dann aufs Wasser. Ich machs tatsächlich. Heute. Jetzt.

Einen Moment scheint alles still zu stehen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. 

 

Bin bereit.

 

Schwimmen:

Das Gefühl, welches mich überkommt, sobald ich eintauche, beginne loszuschwimmen, ist gigantisch. Ich kann es kaum glauben, als würde ich an einem Wettkampf starten. Adrenalin im Blut, rasender Puls. Ich fühle mich unschlagbar, voller Energie, übermütig wie ein kleines Kind.

Die Zeit im Wasser rauscht geradezu an mir vorbei, lasse mich vor nichts aus der Ruhe bringen, weder vor Brustschwimmern in der Crawlbahn noch dessen Tritten in meinen Bauch.

Ich kann es selbst kaum glauben, hatte ich doch eine heiden Angst vor der ersten Disziplin, vor zu wenig Platz oder Zusammenstössen mit anderen Schwimmern.

Aus dem Becken gestiegen, gehts weiter aufs Rad.

Immernoch etwas aufgekratzt, ziehe ich mich um, trinke von meinem selbstgemachtem Energiegetränk, setze mir Helm und Brille auf, lege mir den Rucksack an mit einem Pulli zum wechseln und weiterer Verpflegung. Zwar brodelt die Unruhe noch in mir, doch es ist kein Druck mehr. Nein, es ist sogar positiv, ich will mehr, freue mich auf mehr, weiss, ich kann, ich werde.

 

Radfahren:

Aus der Stadt, rauf auf den Albis. Meine gewohnte Strecke, hoch über der Stadt. Und mein Gott, niemals zuvor habe ich je eine schönere Aussicht erlebt als an diesem Morgen. Ein glühend roter Himmel, die ersten Sonnenstrahlen welche sich über einem dichten Nebelmeer erstrecken, mir ins Gesicht scheinen. Ich falle beinahe vom Rad, derart gefesselt von der Aussicht. Doch für ein Foto konnte ich mich trotz Allem nicht überwinden kurz anzuhalten. Aber ich hab mir geschworen, in jenem Moment, dass ich dieses Spektakel nie und nimmer vergessen werde.

 

Surreal. Das Ganze war surreal.

 

Ich könnte die gesamte Radstrecke bis ins letzte, kleinste Detail beschreiben, doch dafür fehlt mir die Geduld als auch die Worte. Von Anfang bis Ende, war ich voller Energie. Körperlich wie auch mental, alles kommt mir so leicht vor, zeitlos, ungezwungen, gleichmässig fliessend, nein, schwebend auf einer rosa Wolke. Kein Druck, keine Angst, keine Zweifel, bloss Freude, Dankbarkeit und Leidenschaft.

 

So fühlt sich also Freiheit an.

 

Trete bergauf, federleicht, beinahe mühelos.

Vom Etzel wieder bergab, nach Pfäffikon SZ, dann alles dem See entlang wieder zurück nach Zürich, zum Hallenbad.

Wow. Schwer zu begreifen, dass mir bloss noch knapp 20 Kilometer Laufen bevor stehen.

Naja, bloss sollte ich das womöglich nicht nennen.

Zugegeben, vom Rad gestiegen, spüre ich doch sogleich meine Beine. Ganz so frisch sind sie nun auch nicht mehr.

Mein Körper, doch schon etwas müde, vermutlich. Mein Geist dagegen, hat noch nicht genug. Lechzt nach mehr. Werde wieder etwas ungeduldig, will es endlich richtig spüren, die Müdigkeit, die Anstrengung, die brennenden Muskeln.

 

Laufen:

Die ersten 10-20 Minuten fühlen sich, wie erwartet, ziemlich hartzig an. Also anmutig wie eine Gazelle komme ich mir nicht wirklich vor. Eher wie ein Nilpferd. Aber ein stolzes Nilpferd. Ein Nilpferd mit Cape. Jawohl.

Dennich spüre meine Zuversicht, meinen Willen, meine Euphorie, wie weit ich bereits gekommen bin.

So stapfe ich also weiter, bis es, Schritt für Schritt immer runder läuft, immer schneller, immer geschmeidiger.

 

10 Kilometer, Wendepunkt.

Halbzeit.

Unglaublich. Ich kann es wirklich kaum fassen. Ich TUE es tatsächlich, ich laufe noch immer, ich spüre die Kraft noch immer. Als würde ich träumen

Komplett im Flow, hängt sich auf einmal Jemand an meine Fersen. Überholt weder noch lässt er mich davon ziehen. Zuerst etwas irritiert, dann aber angriffslustig, nehm' ich die Herausforderung an.

 

Du willst spielen? Okay, lass uns spielen.

 

Beschläunige etwas, bremse wieder etwas ab, versuche ihn etwas an die Grenzen zu treiben. Nicht lange hält mein kindisches Verhalten an, dann schiesst mir der Gedanke durch den Kopf:

"Was mache ich hier eigentlich? Das ist meine Herausforderung. Mein Projekt."

Und da bremse ich ab, falle in einen angenehmeren Rythmus zurück.

Mein Verfolger ergreift sogleich die Gelegenheit und läuft neben mich her.

 

"Wow, du bisch ja meega schnäll underwegs! Ich han dich welle ihholä aber has eifach nöd gschafft"

Ich muss lachen. Ach was? Wenn du wüsstest.

"Naja, wirklich schnell ist das ja nicht. Hab ja auch schon etwas in den Beinen..."

Und so kommt es, dass ich einem Fremden mein kleines Projekt verrate. So viele Kilometer, drei Disziplinen, ganz alleine für sich, das beeindruckt ihn. Begeistert macht er mir Komplimente, wie toll er das fände.

Er begleitet mich ein Stück, wir plaudern ein wenig, bis er abbiegen muss, um wieder zur Arbeit zu kommen, nach seinem Mittagslauf. Zum Abschied ruft er mir noch einmal zu:

 

"Hey go for it! Isch meega!"

 

Fast ein bisschen traurig darüber, meinen neu gewonnenen Kammeraden bereits wieder zu verlieren, ziehe ich weiter. Langsam werde ich zwar etwas müde, jedoch bin ich zugleich auch ausgesprochen motiviert und berührt von diesem kurzem Austausch. Es überrascht mich immer wieder, wie offen und interessiert manche Menschen, völlig ohne Vorurteil oder Hemmungen an einen herantreten, mit einem Sprechen. In Zürich keine Selbstverständlichkeit.

Mir wird ganz warm ums Herz.

Noch etwa 3 Kilometer.

Von der Limmat gelange ich allmählich wieder zurück in die Stadt renne der Tramlinie entlang, dann rechts durch die Siedlungen, zurück über die Langstrasse, dann alles gerade aus, der Europaallee entlang und nochmals rechts abbiegen.

Schlussspurt.

Noch wenige hundert Meter trennen mich vor meinem Ziel.

Von Glücksgefühlen erfüllt ziehe ich das Tempo nochmals etwas an, überquere die Strasse zum Hallenbad, laufe über den Parkplatz und ...

 

JA!!!

 

Geschafft. Geschafft!!! Ich habs wirklich und wahrhaftig gemacht! Einen halben Ironman, von mir, für mich!

 

1.9 Kilometer Schwimmen

90 Kilomter Radfahren

19 Kilometer Laufen

 

Ich kann es kaum fassen. Jeden Meter, jede Minute habe ich genossen, jeden Moment war ich dankbar, war ich glücklich. Das war bisher der schönste Tag meines Lebens, das kann ich völlig ehrlich und aufrichtig behaupten.

Grandios.

Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schiesst:

 

Ich will das jeden Tag machen!

 

♡ ♡ ♡

 

 

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