Let's Talk About Essstörungen

Reduzieren.

Urteilen.

Bewerten.

 

Wir alle tun es, wir alle sind Opfer davon und deshlab ist es umso wichtiger: werde dir bewusst, was du tust.

Kategorisieren gehört zur Natur des Menschen. Das ist auch gut so. Wären wir nicht fähig, strukturiert zu denken, Regeln und Normen zu konstruieren, wäre Gesellschaft nicht möglich, nicht einmal Leben. Ja es ist eine Unerlässlichkeit, dass wir dazu imstande sind, Dinge, Situationen, Personen zu bewerten, sie einzuordnen. Wir müssen Entscheidungen treffen können, vergleichen und abwägen können.

Das benötigt, zwangsweise, antrainierte, gelernte Schematas, Muster um uns zu orientieren. 

Deshalb, in gewissem Sinne, ist es natürlich Leute nach Aussehen, Auftreten, Verhalten in eine gewisse Schublade zu schieben, wie man so schön sagt.

Aber bloss weil es natürlich ist, ist es deshalb nicht zwangsweise, in jeder Situation, auch richtig.

 

Schliesslich ist Sexualtrieb ebenso etwas vollkommen natürliches. Und trotzdem ist es nicht in Ordnung, dich nackt auf dein Objekt der Begierde zu stürzen. Oder etwa doch?

Ich glaube, hier sind wir uns alle einig.

Etwas zu denken und etwas zu tun sind zwei verschiedene Angelegenheiten.

Verleihst du jedem deiner Gedanken auch eine Bedeutung, ein Gewicht? Gehst du auf alles ein, was dir durch den Kopf schiesst?

Womöglich nicht. Wenn ja, bist du nichts weiter als Impulsgesteuert, was ziemlich primitiv wäre. Und wir sind doch zivilisierte, reflektierte Lebewesen. ( Sollte man jedenfalls denken....)

Wie auch immer, Fakt ist, wir sind dazu imstande unser Handeln zu planen und somit auch zu hinterfragen, was ein korrektes, angebrachtes Verhalten ist. Womit wir gleichzeitig die Verantwortung auf uns nehmen, diese Fähigkeit auch tatsächlich anzuwenden.

 

Okay, das hätten wir also geklärt; Mensch muss in Kategorien denken, Mensch = reflektiertes Wesen ergo Mensch muss/sollte sein Schubladendenken hinterfragen.

 

Kommen wir zum eigentlichen Thema: Essstörungen.

Was hat das Ganze damit zu tun? Zugegeben, die Brücke die ich zu schlagen versuche, kommt etwas wackelig daher, aber dieses Vorwort war wichtig.

Bisher hatte ich noch nie den Mut über dieses Thema zu schreiben, da mich meine eigene Geschichte diesbezüglich zögern liess. Die Zeit während ich tatsächlich akut mit einem gestörtem Essverhalten zu kämpfen hatte, war verhältnismäßig kurz und so rutschte ich auch gar nicht erst richtig tief hinein. Unschön war es trotzdem. Runterspielen will ich das Ganze auf keinen Fall. Aber dennoch hatte ich sets die Hemmung es anzusprechen, da ich mich nicht dazu berufen fühlte für andere zu sprechen. Womit wir beim Punkt sind. Ich bin es nämlich tatsächlich nicht.

Niemand ist es.

Ein Gefühl, das mich in jener Zeit immerzu begleitete war Scham. Ich schämte mich dafür, was andere dachten, was sie sahen. Ich schämte mich für ihr Unverständnis.

 

Das dünne Mädchen, dass nicht mehr essen will.

 

Mehr war ich nicht.

Damals machte mich diese Scham wütend. Ich wollte mich rechtfertigen, konnte es aber nicht. Es war mir zuwider auf eine oberflächliche Ursache reduziert zu werden.

Dünn zu sein war niemals das Ziel. Zu hungern, um "schön" zu sein ebenfalls nicht.

Und genau an diesem Punkt will ich trotzdem für andere sprechen, nicht für alle, aber für viele die mit einer Essstörung kämpfen.

Es geht niemals bloss um irgendeine banale Zahl auf der Waage.

Was hier dahintr steckt, geht um einiges tiefer, als die meisten Aussenstehenden vermuten.

 

Unser krankes Verhältnis zu unserem Körper ist ein Symptom.

 

Unter einer Essstörung zu leiden, bedeutet, an einer psychischen Krankheit zu leiden. Es bedeutet, dass du mit etwas tieferliegendem zu kämpfen hast, als dem Versuch einem "Schönheitsideal" zu entsprechen. Was ebenfalls bedeutet;

 

Es ist niemals dasselbe.

 

Du. Kannst. Keine. Zwei. Essgestörte. Vergleichen.

Das war mit abstand das, was mich am meisten gestört hat, was es immer noch tut.

Ob Freunde oder Familienangehörige, Sätze wie: "Weisst du, das ist dasselbe wie bei XY, für die ist Essen und Gewicht halt etwas schwieriges im Moment.", tun weh. Und zwar so richtig.

Das aller schlimmste in einer solchen Situation ist Unverständnis von Angehörigen, das Gefühl, allein zu sein, reduzieret zu werden auf dein Erscheinungsbild. Als gäbe es eine Pauschal-Diagnose für alle.

Ich kam mir lächerlich vor. Ein dürres kleines Mädchen, geblendet vom Geist unserer Zeit. Opfer, einer Trendbewegung.

Ja klar.

Und nochmals, ich kann hier für niemanden sprechen. Ich will mit diesem Text weder irgendjemanden beleidigen, noch sehe ich mich als die Auserkorene, welche jeden und jede Betroffene/n durchschaut. Ganz und gar nicht.

Jeder hat seine eigene Geschichte, für keinen bedeutet es ein und dasselbe.

Das einzige was ich tun kann, ist einen marginalen Einblick in meine eigene Erfahrung Preis zu geben.

Ins Detail gehen, meine gesamte Geschichte von hinten aufrollen, will ich hier nicht und spielt womöglich auch keine grosse Rolle. Mein Ziel ist es, ein Bespiel zu geben, Angehörigen eine Chance zu geben, zu verstehen, dass es nicht bloss um Essen geht, um eine um eine Zahl auf der Waage.

 

Für mich war es Kontrolle.

 

Kontrolle über meinen Körper, Kontrolle über mein Empfinden, über meine Gefühle.

( nicht) Essen war Mittel zum Zweck, um mein Energielevel zu steuern, um mich möglichst zu erschöpfen, mir meine Kraft zu rauben und mich in gewissen Sinne ruhig zu stellen.

Den Konflikt den ich in mir hatte, den ewigen Kampf gegen mich selbst, den Hass und die Abscheu gegenüber mir und all dem was ich, aus meiner Sicht, zu repräsentieren schien, wie ich in Beziehungen agierte und vieles mehr, es wurde mir alles zu viel. Und das einzige was ich wollte, war all diese schwierigen Emotionen, all diese Gedanken einfach komplett abzudumpfen.

Es hört sich krank an. War es auch.

Essstörungen sind etwas masochistisches.

Keine schöne Zeit, als wärst du auf der Flucht vor dir selbst, in ständiger Angst, gehetzt von eigenen Gedanken, rund um die Uhr. Es verging keine Nacht, in der ich nicht mehrmals, schweissgebaded aufwachte, aufgerieben und durcheinander von meinen wirren Träumen.

Viel wollte ich in dieser Zeit nicht, ausser allein zu sein, was sich um einiges schwieriger herausstellen sollte, als erwartet.

Für mich bedeutete dies eine 180° Drehung, von einem äusserst ausgeprägten Sozialen Netz zur absoluten Isolation.

Weder einfach für mich, noch für meine Mitmenschen. Mir brach es das Herz, doch ich war absolut nicht mehr zu normalen Interaktionen imstande. Geschweige denn war ich dazu fähig, einen Termin oder Treffen mit irgendjemandem zu vereinbaren. Fixe Zeiten, Abmachungen und eigentlich jegliche Art von Verpflichtung überforderete mich vollkommen.

In der Schule bekam ich Panikattacken und musste jede Pause in die Toilette um mich dort lautlos weinend in der Kabine einzusperren. 

Meine Mitschüler bekamen davon wenig mit, nach außen gab ich mich absolut kalt und emotionslos, was deren Empörung über meine soziale Enthaltsamkeit bloss zu schüren schien. 

Rückblickend, sehe ich natürlich, dass mein Verhalten schwer zu schlucken war, damals aber, konnte ich nicht anders und wollte mich schützen und schon gar nicht eine Angriffsfläche bieten. Deshalb lieber Eiskönigin als Opfer.

 Aber das letzte Jahr am Gymnasium war ich ohnehin kaum noch anwesend. Dank extrem verständnisvollen Lehrpersonen einerseits ( wofür ich unendlich dankbar war und bin...) , sowie einer soliden Schulischen Leistung meinerseits, war es möglich die Woche mit maximal zwei bis drei Tagen an der Schule zu verbringen ( an denen ich meist nach maximal zwei Stunden wieder verschwand). 

Für mich war es die Hölle, und so fühlte ich mich umso befreiter, als ich endlich mein Maturzeugnis in der Hand hielt und ein für alle Mal gehen konnte.

Wie auch immer.

Um zurück zur eigentlichen Message zu kommen; in meinem Kopf lief sehr viel mehr ab als bloss Gedanken rund um Essen und Gewicht. Im Gegenteil, diese Gedanken waren eher nebensächlich und wie bereits erwähnt, eher Mittel zum Zweck.

Was ist es, das dich dazu treibt, dich leiden zu lassen, deinem Körper wie Seele, Schaden zuzufügen?

Wäre es bloss Schönheitswahn, wäre doch alles viel zu simpel.

 

Wir sind in einer Gesellschaft angekommen, in derer psychische Krankheiten so verbreitet sind wie eine übliche Erkältung. Wer ist schon nicht irgendwie gestört? Eine wachsende Problematik, welche nicht ungeachtet bleiben sollte. Psychische Gesundheit zählt. Sehr sogar.

Und deshalb ist es umso wichtiger:

 

Reduzieren.

Urteilen.

Bewerten.

Hinterfragen.

 

   

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Susanne (Dienstag, 15 Februar 2022 18:58)

    Hallo :-)
    Wie bist du deine Essstörung losgeworden? Ist Sport etc. jetzt bei dir nicht eine andere Form heftiger Selbstkontrolle? LG